Asklepios Kliniken
Bild: Junger Mann macht Selfie
Selbstliebe. Persönlichkeitsstörung. Kränkungen.

Gesunder Narzissmus

Selbstliebe ist Voraussetzung für ein gelingendes Leben. An Narzissmus erkrankte Menschen lieben sich nicht zu viel, sondern zu wenig

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Lieb‘ mich!

Leben wir mittlerweile in einer Gesellschaft aus krankhaft um sich kreisenden Egoisten und Narzissten? „Nicht im Sinne einer Krankheit“, sagt Knut Gärtner, Oberarzt an der Klinik für Persönlichkeits- und Traumafolgestörungen der Asklepios Klinik Nord-Ochsenzoll. „Der Begriff ‚Narzissmus‘ wird inflationär genutzt: Die Zahl unserer Patientinnen und Patienten, die unter einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung leiden, nimmt nicht zu“. Zwar mögen narzisstische Verhaltensweisen insgesamt mehr geworden sein, befeuert durch die gesellschaftlichen Ansprüche und technischen Möglichkeiten.

„Aber erst, wenn der betroffene Mensch durch seine Gefühle und den daraus resultierenden Handlungen in ernste Lebensschwierigkeiten gerät, sprechen wir von einer narzisstischen Störung“, so Knut Gärtner. Und selbst dann bleibt es fluid: „Die Gefühle unserer Patientinnen und Patienten unterscheiden sich nicht grundsätzlich von denen gesunder Menschen – sie sind aber intensiver, können leichter ausgelöst werden und sind durch die Betroffenen schwerer zu regulieren.“

Bild: Mann diskutiert mit Kollegen

 „Na, Sie sind aber noch jung!“ erklärt der 58-jährige Patient, Typ gepflegt ergrauter Manager.  „Da haben Sie ja noch nicht so viel Erfahrung. Hoffen wir mal, dass das hier dann was wird.“ Rumms! Das sitzt. Ein vergiftetes Lob, eine Beleidigung ersten Grades mit klarem Ziel: „Durch seine subtilen Entwertungen versucht der Patient die Kontrolle über die Situation zu behalten“, erklärt Oberarzt Knut Gärtner. „Das kann gelingen, wenn der Therapeut sich entweder klein und beschämt fühlt oder von der Grandiosität des Patienten so beeindruckt ist, dass er nur noch Bewunderung empfinden kann.“ Warum macht der Patient das? „Damit er sich nicht so klein und ohnmächtig fühlen muss, weniger spürt, wie sehr er auf den anderen angewiesen ist und sich nicht so abgrundtief für seine Kleinheits- und Abhängigkeitsgefühle schämen muss.“

Viele Menschen glauben, Narzissten litten unter einem krankhaft gesteigerten Selbstwertgefühl, so der erfahrene Psychiater und Psychotherapeut. Das Gegenteil sei der Fall: „Narzisstisch kranken Menschen fehlt es an Selbstliebe und Selbstwertgefühl.“ Weshalb sie nach außen umso mehr Lärm machen müssen. Und ihr Umfeld dadurch mitunter arg strapazieren.

Alles normal, nur überdreht

Etwa in Beziehungen. „Narzissmus lässt sich als eine übersteigerte Form des Strebens nach Selbstwert beschreiben“, erklärt Knut Gärtner, der als Leitender Oberarzt die Station für Beziehungszentrierte Psychotherapie leitet. Charakteristische Symptome seien mangelndes Einfühlungsvermögen in andere, ein ausgeprägtes Geltungsbedürfnis und die Neigung, andere auszunutzen. „Gesunde Menschen können sich aus sich selbst heraus loben und lieben, sich aus einer inneren Gewissheit heraus über den Erfolg anderer Menschen freuen.“ Narzisstische Menschen können das weniger: Sie sind auf ein Gegenüber angewiesen, das sie bestätigt und bewundert, lobt und liebt, benutzen andere Menschen, um sich im Vergleich gut zu fühlen. „Dazu werten sie sie häufig ab“, so Knut Gärtner. „Ihr Leben besteht aus einem permanenten Auf und Ab aus Selbstüberschätzung und quälenden Minderwertigkeitsgefühlen.“

Zugleich haben narzisstisch erkrankte Menschen große Angst vor Abhängigkeit. Verbindung ist immer auch gleichbedeutend mit drohendem Verlust. Diese Angst kann dazu führen, dass ein narzisstischer Mensch sich entweder ganz in sich zurückzieht oder seinen Partner, seine Partnerin zwanghaft kontrolliert. Was tragischerweise dazu führen kann, dass genau das eintritt, wovor er sich so fürchtet: das gegängelte Gegenüber sucht das Weite.

Bild: Mann mit mehreren Persönlichkeiten
Wann ist man krank?

Der Übergang von psychisch gesund zu psychisch krank ist fließend. Sofern aber eine Persönlichkeitsstörung diagnostiziert wird, können unterschiedliche Schweregrade benannt werden. Das hängt beispielsweise davon ab, wie viele Persönlichkeitsbereiche betroffen sind. Welche Persönlichkeitsstörung genau vorliegt, ist nicht immer trennscharf zu beurteilen: Die diagnostischen Kriterien überlappen sich teilweise. Das hat in den vergangenen Jahren dazu geführt, dass bei den meisten Patienten mehrere Persönlichkeitsdiagnosen gestellt wurden. Diese sogenannten Komorbiditäten waren unter anderem dem unflexiblen, kategorialen Diagnosesystem der letzten Jahrzehnte geschuldet. Das wurde jetzt aktualisiert: Danach muss eine Symptomatik keineswegs bereits in der Kindheit begonnen haben und schon gar nicht lebenslang bleiben – womit Kriterien verschwinden, die jahrelang Grundlage für Vorurteile und Stigmatisierung waren.

„Ein Kriterium für das Vorliegen einer Persönlichkeitsstörung ist, dass betroffene Menschen ihrer Gefühlswelt hilf- und schutzlos ausgeliefert sind: Sie können intensive Gefühle – Wut, Ohnmacht, Scham, Kränkung – nur schwer regulieren und reagieren über“, erklärt Knut Gärtner. Er nennt das Beispiel von einem jungen Mann, der von seinem Vorgesetzten kritisiert wird und daraufhin prompt seinen Job kündigt, in dem Sinne: ‚Das habe ich nun wirklich nicht nötig!‘ „Diese Menschen erleben Kritik als Herabwürdigung oder Ungerechtigkeit ihrer Person gegenüber“, sagt der erfahrene Psychiater und Psychotherapeut. „Sie können unter psychischem Stress schlecht zwischen Sachebene und persönlicher Ebene unterscheiden, bei Kritik wird ihr gesamtes Dasein in Frage gestellt, nicht ein punktuelles Verhalten.“ Anstatt schmerzhafte Gefühle von Verbitterung und Enttäuschung, Scham und Selbstzweifel ins Bewusstsein treten zu lassen, schützt die nach außen gerichtete Reaktion das eigene Selbstbild: Die Kündigung erweckt den Eindruck von Stärke und Kontrolle. Wenn dieser Schutz nicht zur Verfügung steht, kann es zur gegenteiligen Reaktion kommen: zum inneren Zusammenbruch. Explosion oder Implosion. Auf jeden Fall knallt es.

Bild: Kind wird gemobbt
Wie wird man krank?

Auch zu dieser Frage gibt es verschiedene wissenschaftliche Thesen. Der genetische Einfluss scheint beim Narzissmus im Vergleich zu anderen Persönlichkeitsstörungen besonders wichtig zu sein. Doch auch frühe Prägung spielt eine Rolle. Zwei Haupterklärungsmodelle beziehen frühe Kindheitserfahrungen ein: Im ersten Fall wird es dem Kind durch ständiges und übermäßiges Lob erschwert, ein realistisches Selbstbild zu entwickeln. Später, im Erwachsenenalter, erwartet und fordert die Person, dass sich sein Umfeld stets ähnlich bestätigend verhält. So können narzisstische Persönlichkeitszüge entstehen, aber auch eine krankheitswertige Persönlichkeitsstörung. Der zweite Fall scheint für die Entstehung des Narzissmus als Krankheit der wichtigere zu sein: Wiederkehrende Mini-Verletzungen, etwa wenn das Kind zu wenig Wahrnehmung und Anerkennung erfährt, begünstigen den Aufbau eines inneren Schutzwalls.

Dabei unterscheidet die Psychiatrie zwischen grandiosem und vulnerablem (verletzlichem) Narzissmus: Während der grandiose Narzisst selbstbewusst bis arrogant wirkt, häufig prahlerisch und monologisierend auftritt, wirkt der vulnerable Narzisst kleinlaut und depressiv. Was jedoch auch nur so scheint. Knut Gärtner: „Wer genau hinguckt, sieht, dass vulnerable Narzissten sich ebenso einzigartig empfinden wie grandiose Narzissten: In ihrer unglaublichen Kleinheit können sie von keinem übertroffen werden. Kleiner als sie ist niemand auf der ganzen Welt.“

Narzissmuss: 3 Fragen 3 Antworten | Asklepios

Patienten kommen aus anderen Gründen

Narzisstische Patientinnen und Patienten suchen die Klinik in der Regel erst in einer Krisensituation auf, die oberflächlich betrachtet gar nichts mit der narzisstischen Erkrankung zu tun hat. Viele Patienten und Patientinnen kommen erst in dem Moment, in dem Dinge nicht mehr funktionieren, sie aus einem Höhenflug heraus unsanft auf den Boden landen. Das kann ein abgebrochenes Studium sein, eine kaputte Partnerschaft oder der Tod eines wichtigen Menschen. Knut Gärtner: „Viele kommen dann mit einer depressiven Symptomatik. Auch Suchterkrankungen und Suizidgedanken sind häufig.“ Über diesen Umweg – die Behandlung der Suchterkrankung oder der Depression – kann ein Zugang zu der dahinterliegenden Problematik gefunden werden. Mitunter bietet ein solcher Krisenmoment den Betroffenen erstmals die Möglichkeit, ihre verletzliche Seite zu zeigen, die sie als schlimme Ahnung im Kontakt mit anderen bisher verborgen gehalten haben.

„Da wir nicht mit Hilfe medizinischer Apparate körperliche Veränderungen feststellen können, müssen wir die Erkrankung über Gespräch und Analyse wahrnehmen und beschreiben“, erklärt der Facharzt. Dazu stehen den Therapeutinnen und Therapeuten verschiedene Instrumente wie die Biographiearbeit, Herausarbeiten und Benennen von Gefühlen oder Fragebögen (Psychometrische Testverfahren) zur Verfügung, auf denen Patientinnen und Patienten zutreffende oder unzutreffende Aussagen ankreuzen können. Der Begriff „Persönlichkeitsstörung“ sollte dabei besonders behutsam eingeführt werden. Sonst klingt die Diagnose wie eine Beleidigung. Anstatt pauschal von einer Persönlichkeitsstörung zu sprechen, ist es oft hilfreicher, Beeinträchtigungen in verschiedenen, sogenannten Ich-Funktionen zu benennen: etwa in der Fähigkeit, Nähe zuzulassen oder Empathie zu empfinden.

Bild: Mann im Therapiegespräch
Der Psychotherapeut als Resonanzkörper

Um den rauf- und runterrasenden Fahrstuhl aus Kleinheits- und Allmachtsgefühlen abbremsen oder gar zum Stillstand bringen zu können, hält die Asklepios Klinik für Persönlichkeits- und Traumafolgestörungen sechs, auf unterschiedliche Altersgruppen und Krankheitsbilder spezialisierte Stationen sowie ein vielfältiges Repertoire an Behandlungsmethoden bereit. Welches Setting und welche Therapie am erfolgversprechendsten sind, hängt vom einzelnen Patienten, von der einzelnen Patientin ab. „Es kommen bei uns tiefenpsychologische und verhaltenstherapeutische Verfahren zum Einsatz“, erklärt Knut Gärtner. Bei der Behandlung narzisstisch erkrankter Menschen steht die psychotherapeutische Arbeit mit Gefühlen (Affekten) im Mittelpunkt. „Die machen wir sichtbar“, so der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie.

Individuelle Therapie

„Zunächst in der Geschichte des Patienten, dann innerhalb der therapeutischen Beziehung. So können wir sie besprechen. Als therapeutisch geschultes Personal erkennen wir, was im Patienten, in der Patientin geschieht und arbeiten damit. Alles darf sein, was unser Gegenüber mitbringt.“ Voraussetzung für diese intensive Affekt-Arbeit ist der Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung zwischen Therapeuten und Patienten. Auf dieser Basis können neue Gefühle und Beziehungsformen zugelassen und erprobt werden, die Modelle stehen für die Zukunft. 

Was ist als Behandungserfolg möglich? Auf jeden Fall kein neuer Mensch. Wozu auch? Ziel der Therapie ist, erkrankten Menschen einen konstruktiven Umgang mit ihrer überwältigenden Gefühlswelt zu ermöglichen. „Wenn das gelingt“, sagt der Facharzt, „müssen sie niemandem mehr beweisen, dass sie die Größten sind. Sie sind dann einfach groß genug.“

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Vermuten Sie bei sich selbst oder einem Angehörigen eine Persönlichkeitsstörung? Oder sind Sie auf der Suche nach einer/einem Expert:in für Persönlichkeits- und Traumafolgeerkrankungen? Dann nehmen Sie Kontakt zu unseren Expert:innen der Klinik für Persönlichkeits- und Traumafolgestörungen in der Asklepios Klinik Nord-Ochsenzoll auf.